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Eröffnungsrede memory weaves – unweaves time, 2012, 

ÖBV - Atrium, Wien


(...) Wer sich mit den Arbeiten von Brigitte Konyen auseinandersetzen will, muss jedes Mal einen neuen Anlauf nehmen, einen anderen Weg einschlagen, auf ein immer anderes Format blicken und damit – könnte man sagen – ständig seine Einstellung ändern.

(…)

Hat man nun ein Bild entdeckt und nimmt es in Augenschein, so beginnt eine ganz anders geartete Annäherung. Er oder sie werden das tun, wozu jeder Betrachter von abstrakten Werken neigt: Man hält Ausschau nach Anhaltspunkten, die sich mit realen Erscheinungen, die man kennt, decken. Man möchte etwas erkennen, das einem vertraut ist. Zunächst – und mir geht es nicht anders – tritt man näher, um im Geflecht ein Detail näher zu begutachten und festzustellen, ob sich aus ihm ein Fingerzeig erschließe, der die gesamte Ansicht deutlicher mache. Dann geht man einige Schritte zurück in der Hoffnung, in der Gesamtschau auf eine schlüssige Aussage zu stoßen. Bei einer solchen Vorgehensweise eröffnet sich bereits der besondere Reiz der Fotoarbeiten von Brigitte Konyen, die in der Regel sehr aufmerksam studiert werden. Um ihnen nahe zu kommen, verlangen sie danach, aus verschiedenen Perspektiven angesehen zu werden.

Doch auch wenn wir in der einen Arbeit das Gesicht eines Kindes erkennen, in einem anderen die Züge eines heranwachsenden Mädchens, dann wieder die Konturen einer Landschaft oder den Blick aus einem Fenster – keine der Ansichten tritt klar zutage, vielmehr sind sie durch Schnitte getrennt, durchbrochen von anderen Ansichten oder Teilen derselben, die gewendet worden sind, manchmal von bemalten Streifen durchsetzt, von Wiedergaben, deren Vorlagen nicht oder nicht eindeutig zu identifizieren sind. Und wenn wir uns auf diese Weise einem 

Werk genähert haben, hin- und hergerissen sind zwischen Erkennen und Irritation, wenn Teile ebenso rasch auftauchen, wie sie sich im Geflecht wieder auflösen – dann haben wir uns auf jene Spur begeben, die die Künstlerin ausgelegt hat.

Denn ihr Thema ist das Erinnern, ein Vorgang mit denselben Strukturen wie die heute gezeigten Bildentwürfe. Da überschneiden sich Bilder, treten manche schärfer hervor, liegen andere im Halbdunkel, verschränken sich diverse Gegebenheiten. Jeder kennt das, zumindest aus Träumen, die ja auch von Erinnerungen gespeist werden – und man könnte Erinnerungen durchaus als Tagträume bezeichnen: 

Da treten manchmal Personen auf, die sowohl dem einen wie dem anderen Bekannten ähnlich sehen; oder die Einrichtung eines geträumten Raumes setzt sich aus Stücken aus verschiedenen Wohnungen zusammen, in denen man einmal gelebt hat.

All diesen Erscheinungen liegen tatsächliche Gegebenheiten zugrunde, und entsprechend geht Brigitte Konyen vor. 

Das Ausgangsmaterial sind in den allermeisten Fällen eigene Aufnahmen, was heißt: es sind – wie bei allen Fotografien – Ansichten von etwas, das vergangen ist und also nur mehr erinnert werden kann. 

Doch die menschliche Erinnerung ersteht nicht primär aufgrund detailgenauer Bilder, sondern sie neigt dazu, mehrere Erlebnisse und Wahrnehmungen zu vermengen, eigene Bilder zu kreieren, das Gewesene ebenso auszuschmücken, wie Teile davon auszugrenzen. 

Wenn Brigitte Konyen Partien aus ihrem Leben zusammenfügt, indem sie unterschiedliche Ansichten miteinander verbindet, reflektiert sie nicht nur die eigene Vergangenheit, an der sie uns nur andeutungsweise und begrenzt teilhaben lässt, sondern sie zeigt zugleich mit fotografischen Mitteln, wie sich Erinnerungen konstituieren. Und insofern blicken wir alle in dieser Ausstellung auf ein – zumindest in Grundzügen – bekanntes Szenario.

Timm Starl, 2012